Ihre Stimmen sind laut und fordernd – ihre unberechenbaren Bewegungen zeugen von tiefen Traumata. Ihre Energie ist unermüdlich. Auf ihren Sturm folgt Ruhe. Die Pädagoginnen strahlen sie ebenso unermüdlich aus. Sie begegnen den Kindern mit Wärme und Freundlichkeit. Hier im Hafen finden Kinder und Jugendliche, die nirgendwo anders Platz gefunden haben, zum ersten Mal Sicherheit und Akzeptanz.
Kerstin Stappenbeck, Abteilungsleiterin der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, erläutert das Konzept hinter der Wohngruppe Hafen: „Wir haben diese Einrichtung gegründet, um Kindern, die besonders schwer zu vermitteln sind, Sicherheit zu bieten. Unser Ziel ist es, den 'Drehtüreneffekt' zu stoppen und den Jugendlichen eine faire Chance auf Sozialisierung zu geben.“ Der erste Satz, den jedes Kind hier hört, lautet: "Du fliegst hier nicht raus."
Da ist zum Beispiel Lukas (Name geändert), ein 13-jähriger Junge, der bereits aus über 40 Einrichtungen geflogen ist. Lukas' Leben war bisher geprägt von Ablehnung und ständigen Ortswechseln. Er wusste genau, wie er sich verhalten musste, um aus einer Einrichtung geworfen zu werden. Destruktives Verhalten war seine Strategie, um die Kontrolle über eine Situation zu behalten, die er nicht ändern konnte.
Bei seiner Ankunft im Hafen beginnt Lukas sofort damit, sein Zimmer zu vernachlässigen. Müll stapelte sich, der Gestank wird unerträglich. Die Betreuer jedoch bleiben ruhig und unterstützend. Kein einziges Mal fällt der Satz, den Lukas so oft gehört hat: "Du musst gehen." Stattdessen hört er immer wieder: "Du fliegst hier nicht raus."
Wochen vergehen und Lukas wartet vergeblich auf die erwartete Reaktion. Stattdessen bietet das multiprofessionelle Team weiterhin Unterstützung an. Es dauerte lange – Wochen werden zu Monaten –, bis Lukas angängt, die Angebote anzunehmen. Die Wohngruppe Hafen bietet therapeutische Gespräche, Freizeitaktivitäten und schulische Förderung an. Doch Lukas, wie viele andere Kinder hier, hat gelernt, jeder Form von Hilfe mit Misstrauen zu begegnen.
Ein hart erkämpfter Fortschritt
Doch dann kommt der Wendepunkt. Eines Tages, als Lukas wieder einmal in seinem unordentlichen Zimmer saß, überkommt ihn eine unerwartete Erkenntnis. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich nicht bedroht, sondern sicher. Diese Sicherheit ist der Schlüssel zu einem langsamen, aber stetigen Wandel. Lukas beginnt, sein Zimmer aufzuräumen. Ganz von alleine. Er entsorgt den Müll, wischt den Boden und ordnet seine wenigen Habseligkeiten. Das Aufräumen ist für ihn mehr als nur eine Reinigung – es ist ein Symbol seiner neu gewonnenen Selbstwirksamkeit und seines Selbstwertgefühls.
Kein leichter Weg
Der Prozess ist nicht einfach und es erfordert viel Geduld und Unterstützung. Die Kinder in der Wohngruppe Hafen sind oft schwer traumatisiert und haben in ihrem Leben bisher meist nur die Sprache der Gewalt kennengelernt. Jegliche Handlung von Erwachsenen wird zunächst als feindselig wahrgenommen. Es dauert oft bis zu zwei Jahre, bis die Kinder lernen, dass sie einen Selbstwert haben und liebenswert sind.
Lukas lernte, dass er hierbleiben durfte, dass er nicht rausfliegen würde, egal wie schwierig es wurde. Diese Sicherheit gab ihm die Kraft, sich zu öffnen und an den Angeboten der Wohngruppe teilzunehmen. Es ist ein langsamer, aber entscheidender Fortschritt.
Während der Regen weiterhin sanft auf die Fenster fällt, herrscht im Inneren der Wohngruppe Hafen eine Atmosphäre des langsamen Aufbruchs für Lukas. Denn Ziel des Hafens ist es, die Kinder soweit zu stabilisieren, dass sie in eine dauerhafte Wohngruppe ziehen und ein neues Kapitel aufschlagen können. Lukas' Geschichte ist nur ein Beispiel dafür, wie ein sicherer und unterstützender Ort das Leben eines Kindes verändern kann. Hier im Hafen haben die Kinder zum ersten Mal die Möglichkeit, anzukommen und sich zu entfalten. Sie wissen: "Du fliegst hier nicht raus."